Wintersemester 2016/17 bei der Initiative für kritische Psychologie
Schon wieder ist ein ereignis- und diskussionsreiches Semester mit der Initiative für kritische Psychologie zu Ende gegangen und wir würden euch gerne an dieser Stelle einen kleinen Einblick in unsere Inhalte und Themen geben. Vielleicht weckt das bei der einen oder dem anderen ja die Lust, in diesem Sommersemester mal bei uns vorbei zuschauen.
Begonnen hat das Semester mit einer, von etwa 30 Menschen besuchten, Einführungsveranstaltung zum Thema „Kritik am Wissenschaftsbetrieb“. Im Rahmen der kritischen Ersti-Wochen haben wir dazu einen kurzen Vortrag zur Kritik am Verständnis von „Wissenschaftlichkeit“ im Allgemeinen und dem psychologischen Experiment als „Königsweg der Erkenntnis“ im Besonderen vorbereitet. Die Frage „Wie können wir die Kritik am Mainstream-Wissenschaftsverständnis in unserem Studium umsetzen?“ führte uns zu angeregten Diskussionen.
Als erstes Thema haben wir uns im Wintersemester mit der Indigenen Psychologie beschäftigt. In Abgrenzung zur kulturvergleichenden Psychologie wird Kultur dabei nicht als unabhängiger Faktor verstanden, der isoliert betrachtet werden kann. Stattdessen werden psychologische Konzepte und Theorien in ihrem jeweiligen kulturellen Kontext untersucht und dabei Methoden und Begriffe verwendet, die in dieser Umgebung sinnhaft und relevant sind. Bei der Diskussion von Texten zur Indigenen Psychologie haben wir uns auch mit den Machtverhältnissen innerhalb der psychologischen Forschung beschäftigt und uns gefragt, wie die Dominanz westlicher Theorien und Methoden reduziert werden könnte.
Am 25. und 26.11.2016 durften wir die Diplom-Psychologin Anke Perband bei uns in Osnabrück willkommen heißen. Es ging an diesen beiden Tagen um das Thema Positive Psychologie. Am Freitag haben wir in Form eines Vortrags mit anschließender Diskussion einen Einblick in die Idee und die Entstehung der Positiven Psychologie bekommen. Dabei ist besonders klar geworden, dass die Positive Psychologie ein Teil der „Mainstream-Psychologie“ ist und in erster Linie den Anspruch hat, den störungs- und krankheitszentrierten Fokus der Mainstream-Psychologie um die Komponente der ressourcenorientierten „positiven“ Psychologie zu erweitern.
Am Samstag ging es in dem Workshop darum, konkrete Interventionen der Positiven Psychologie kennenzulernen. Dazu hat Anke Perband uns ihr Konzept einer „Ressourcengruppe“ vorgestellt, die sie im Rahmen ihrer Arbeit in einer psychiatrischen Tagesklinik entwickelt hat. Es ging dabei um die Themen „Ressourcen entdecken“, „Selbstmitgefühl“ und „Savouring (Genießen) und Dankbarkeit“. Wir konnten in einem geschützten Rahmen einerseits die Interventionen an uns selbst durchführen und sie auf der anderen Seite im Diskurs kritisch hinterfragen und verstehen. Der Workshop war eine gute Erfahrung, um das Gefühl einer Gruppentherapiesitzung, im weitesten Sinne, kennenzulernen und um eine neue Perspektive auf die Arbeit klassischer klinischer Psychologie zu bekommen.
Im Dezember haben wir uns dann vermehrt mit dem Thema Geschichte der Psychologie beschäftigt. Im Rahmen dessen haben wir unter anderem einen Text von Helmut E. Lück gelesen, in dem es um die Rolle der Psychologie im Nationalsozialismus ging. Dabei sind wir auf die für uns überraschende Information gestoßen, dass der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP) im ehemaligen Nazi-Konzentrationslager Neuengamme gegründet worden sein soll, wobei ehemalige Wehrmachtspsychologen bei der Gründung mitgewirkt haben sollen. Wir haben versucht, aus anderen Quellen mehr Informationen zu diesem Ereignis zu finden und haben schließlich den BDP direkt per E-Mail kontaktiert, um zu erfahren, wie der Verband selbst zu diesem Gründungsmythos steht. Die von uns verfasste E-Mail und auch die Antwort des BDP könnt ihr in einem früheren Blogeintrag einsehen:
https://kripsos.wordpress.com/2017/04/20/gruendungsmythos-des-bdp/
Am 08.12.2016 fand zudem ein Vortrag von Prof. em. Dr. Jürgen Kriz zum Thema „Geschichte der Psychologie“ statt. In dem Vortrag sollte es darum gehen, ob und wie die Aufarbeitung des Zweiten Weltkrieges aus psychologischer Perspektive stattgefunden hat, wie sich die Psychologie und Psychotherapie während und nach des Zweiten Weltkrieges entwickelt hat und wie die aktuell in Deutschland vorzufindende Therapielandschaft entstanden ist. In einer anschließenden Diskussion hatten wir zudem die Gelegenheit, mit Herrn Dr. Kriz über die Eingeschränktheiten und Chancen der modernen Psychologie in Gegenwart und Zukunft zu reflektieren.
In einem außerplanmäßigen Treffen hat sich eine kleinere Gruppe von uns außerdem mal wieder mit der „gesamtgesellschaftliche Vermitteltheit individueller Existenz“ und der Frage, was jetzt eigentlich (die klassische) Kritische Psychologie und ihre Denkweisen und Methoden ausmacht, beschäftigt. Dazu haben wir in kleiner Runde gemeinsam Ausschnitte aus der „Einführung in die Kritische Psychologie“ von Morus Markard gelesen.
Außerdem haben wir uns noch mit der Betreuung von Abschlussarbeiten beschäftigt. Anlass dafür war die Vorstellung einer Bachelorarbeit, in der ein Mitglied unserer Initiative von ihrer Datenerhebung und den damit verbundenen Herausforderungen berichtet hatte. Da sich in unserer Gruppe einige in der ersten Phase der Erstellung ihrer Bachelorarbeiten befanden, haben wir gemeinsam über den Forschungsprozess und mögliche Schwierigkeiten einzelner Arbeiten diskutiert. Dabei haben wir auch überlegt, welche Anlaufstellen an unserer und anderen Unis existieren, um im Falle von Schwierigkeiten unterstützt zu werden. Im Anschluss daran haben wir im Rahmen eines World Cafés überlegt, welche Handlungsmöglichkeiten wir als Ini für kritische Psychologie haben, um an der Uni und darüber hinaus etwas zu verändern. Dabei sind verschiedene kleinere und größere Ideen und Projekte entstanden, an die wir im kommenden Semester anknüpfen wollen! Eines davon ist die Öffentlichkeits- und Vernetzungsarbeit, die wir ausbauen wollen. Ein erstes Ergebnis davon ist unsere Facebook-Seite, die euch ab jetzt unter „Initiative für kritische Psychologie Osnabrück“ mit aktuellen Infos zu Treffen und Veranstaltungen versorgt.
Am Ende des Semesters hatten wir die großartige und sehr bereichernde Gelegenheit, im Rahmen eines Frühstücks mit einer Psychiatrieerfahrenen selbst über ihre Kritik an Psychiatrie, Therapie und dem Störungsbegriff zu sprechen. Vorher hatten wir uns mit dem Psychiatriesystem in Deutschland und verschiedenen alternativen Ansätzen beschäftigt und haben aus ihrer persönlichen Perspektive und ihren Erfahrungen sehr viel lernen können.